Online-Livestreaming – Harmonisierung der Lizensierungserfordernisse auf EU-Ebene?

Immer neue Technologien werden für die Ausstrahlung von Fernseh- oder Rundfunkdiensten entwickelt; das derzeit geltende Urheberrecht stößt an seine Grenzen. Insbesondere bei Anbietern von Livestreaming-Diensten, die mithilfe von Over-the-top content (OTT) Video- und Audioinhalte übermitteln, besteht große Rechtsunsicherheit, in welchem Umfang entsprechende Lizenzen für die Ausstrahlung der einzelnen Fernsehsendungen erworben werden müssen und können.

Das Problem:
Dem Endnutzer wird eine Plattform zur Verfügung gestellt, über die er eine Sendung zeitgleich zur Ausstrahlung im Fernsehen via Internet oder mobilen Endgeräten (insb. Smartphone, Tablet) verfolgen kann. Selbst kann der Nutzer – im Vergleich zu klassischen On-demand-Anbietern wie Netflix, Amazon Prime, o.ä. – nicht über Zeit und Art der Sendung verfügen, sondern ist an das vom jeweiligen Fernsehsender ausgestrahlte Programm gebunden.

Höchstrichterlich wurde bisher nicht entschieden, ob es sich bei dieser Verbreitung des Rundfunkprogramms um eine Kabelweiterleitung im Sinne des § 20 b UrhG handelt, mit der Folge, dass sämtliche für die Verwertung erforderlichen Nutzungsrechte Dritter gebündelt über eine Verwertungsgesellschaft erworben werden können. Anderenfalls wären die Anbieter gehalten, Nutzungsrechte von jedem einzelnen Rechteinhaber einzuholen, da ansonsten die gerichtliche Geltendmachung von Unterlassungs- sowie Schadensersatzansprüchen der einzelnen Rechteinhaber droht und in zahlreichen Fällen auch Gegenstand untergerichtlicher Verfahren ist.

Der Wortlaut der Vorschrift lässt offen, ob eine Weitersendung des Programms über das Internet ebenfalls vom Anwendungsbereich des § 20 b UrhG umfasst ist. Die untergerichtliche Rechtsprechung tendierte zunächst dazu, die Anwendbarkeit der Vorschrift auf die zeitgleiche Online-Sendung des Programms im sog. Livestreaming abzulehnen. Der Gesetzgeber habe bei Entstehung der Norm eine Weitersendung über das Internet nicht vor Augen gehabt. Anhaltspunkte dafür, dass auch weitere unbekannte Verwertungsarten durch die Norm geregelt werden sollten, ergäben sich nicht aus den Gesetzesmaterialien. Da § 20 b UrhG die Eigentumsrechte des jeweiligen Rechteinhabers durch die Bündelung sämtlicher einem Werk zugehöriger Verwertungsrechte bei einer Verwertungsgesellschaft erheblich einschränke, sei eine Ausweitung auf weitere Verwertungsarten Aufgabe des Gesetzgebers.

In der jüngeren Vergangenheit wurde jedoch gerichtlich entschieden, dass es sich beim Livestreaming nicht um eine neue, seinerzeit unbekannte Verwertungsart, sondern um eine Weiterentwicklung bereits bekannter Verwertungsmöglichkeiten handele. Ob die bisherige gerichtliche Argumentation auch auf die bloße Weiterentwicklung von Nutzungsmöglichkeiten, die keine neue, eigenständige Nutzungsart begründen, anwendbar ist, ist dadurch fraglich. Sofern es sich nicht um eine neue, unbekannte Nutzungsart, sondern lediglich um eine Weiterentwicklung einer bereits bekannten Art der Nutzung handelt, die bereits bei Übertragung der jeweiligen Verwertungsrechte bestand, besteht kein Anlass eine darüber hinausgehende gesetzliche Regelung zu fordern. Ob sich die Mehrheit der Gerichte dieser Argumentation anschließen wird, ist jedoch ungewiss.

Die Lösung?:
Der Entwurf einer neuen Urheberrechtsrichtlinie sowie ein Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission zur Harmonisierung des europäischen Urheberrechts sind nunmehr veröffentlicht worden. Insbesondere der Verordnungsentwurf setzt sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen eines „Weiterübertragungsrecht“ (“retransmission“) auseinander. In erster Linie soll es den Sendeanstalten ermöglicht werden, ihre Inhalte grenzüberschreitend innerhalb der EU auszustrahlen.

Grundsätzlich soll die Auslizensierung des Rechts zur Weitersendung entsprechend der derzeitigen Regelung des § 20 b UrhG ausschließlich durch Verwertungsgesellschaften erfolgen. Ausgenommen von dieser Regelung sind die Sendeanstalten (“broadcasting organisations”), sofern sie ihr eigenes Programm ausstrahlen. Durch die Klarstellung wird lediglich vermieden, dass die Sendeunternehmen ihr eigenes Programm über eine eigene Verwertungsgesellschaft lizensieren müssen. Insgesamt wird durch den Verordnungsentwurf das Weitersendungsrecht der Sendeanstalten – insbesondere über die Sendereigenen Online-Mediatheken – gestärkt. Der derzeitige Entwurf enthält jedoch keine Regelungen für On-demand-Anbieter oder Anbieter von Livestream-Portalen. Eingangs legt der Verordnungsentwurf zwar fest, dass von dem Begriff der “retransmission” sowohl die Kabelweiterleitung als auch eine online Weiterleitung ausgeschlossen sind, sodass für die Verbreitung von Rundfunkinhalten durch Online-Anbieter, die nicht von Sendeanstalten geleitet werden, der Anwendungsbereich der für die Mitgliedstaaten verbindlichen Verordnung nicht eröffnet sein wird. Der gegenwärtige Entwurf lässt jedoch die Frage offen, ob insoweit weiterhin der nationale Gesetzgeber handlungsbefugt sein wird oder die Verordnung letztendlich eine abschließende Regelung auch im Hinblick auf Livestreaming- oder On-demand-Dienste durch Dritte umfassen wird.

In jedem Fall ist eine eindeutige gesetzliche Regelung oder höchstrichterliche Entscheidung erforderlich, um langfristig Rechtssicherheit im Hinblick auf die Übermittlung von Video- und Audioinhalten mittels Over-the-top content zu erhalten.